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Geboren 1975 in Ravensburg begann Habisreutinger seinen künstlerischen Werdegang 1997 mit dem Vorstudium der Gestaltung an der Jugendkunstschule in Meersburg, woran sich bis 2001 eine Tischlerlehre anschloss. Von 2002-2008 studierte er Malerei und Grafik an der Kunstakademie in Karlsruhe. Seit 2008 ist er freischaffend tätig, unter anderem beteiligte er sich an zahlreichen Kunstprojekten am Bau in Berlin, Stuttgart oder Karlsruhe. Alex Habisreutinger lebt und arbeitet in Weingarten und Berlin.
Organisches Wachstum und konstruktive Form durchdringen und ergänzen sich in seinem Schaffen zu außergewöhnlichen Skulpturen, Installationen und Zeichnungen. In seinen raumbezogenen Holzplastiken entwirft er lebhaft Strukturen, die gleichermaßen an Pflanzliches und Vegetabiles wie an Architektonisches und Technisches denken lassen. Und so bezeichnet Habisreutinger seine Arbeiten auch gerne als „Naturarchitektur“ und seine Vorgehensweise als „freie Improvisation“, bei der sich „wie im Free Jazz offene Systeme ergeben, die erweiterbar sind und sich ständig neu zusammenfügen“.
Durch das Material Holz und die bewegte Formgebung schafft Habisreutinger Bezüge zur Natur, ohne aber die Natur nachzubilden, vielmehr sind es vitale, expressive Gesten, die den Gesetzen der Natur nachspüren, sogleich aber eine völlig eigenständige A
ussageform entwickeln. Mit gerundeten Windungen sind die Formen ineinander verschlungen und lassen gleichsam endlose Gebilde aus linear fliessenden Volumina entstehen. Einige Plastiken greifen mit astartigen Bewegungen in den Raum, andere verdichten sich zu kompakten kugel- oder hängenden nestartigen Objekten. Dazu gesellen sich kraftvolle Reliefarbeiten, die wie zerborstene Landschaften aus der Wand herauszuwachsen scheinen.
Eine souveräne Handhabung des Naturmaterials kennzeichnet Habisreutingers virtuose Technik: einzelne Elemente, wie etwa Weidenäste mit sorgsam geglätteten Oberflächen, werden präzise zusammengefügt, teils ineinandergesteckt, teils bleiben die Steckverbindungen sichtbar, teils werden die Gelenkstellen verschliffen. Stets ist es ein additives Gestaltungsprinzip, bei dem Grundkomponenten, sog. Module, variiert und verändert werden können, so daß deren Kombination die endgültige skulpturale Form ergibt.
„Das Ausgangsmaterial meiner Skulpturen und Installationen besteht vorwiegend aus Fundholz, z. B. Äste oder Obstkisten. Dieses wird zerlegt, zersägt oder auch gespalten. Die daraus resultierenden Holzstücke lassen sich durch eine spezielle Bearbeitung mit Zapfverbindungen auf variable Weise zusammenfügen. Ein modulares Stecksystem entsteht. Eine Skulptur kann so Stück für Stück wachsen und lässt sich zudem an räumliche Gegebenheiten anpassen“, erläutert Habisreutinger seinen ebenso praktikablen wie experimentierfreudigen Gestaltungsprozess.
Mit ihrer lebhaften Formgestalt aus Windungen erinnern die Holzobjekte an Wurzelgeflechte, an molekulare Strukturen, an Nervenbahnen, DNA-Stränge oder Nester. Für den Betrachter sinnlich erlebbar werden innere Spannungen und freigelegte Kräfte des Holzes. Stets scheint eine verborgene Energie nach außen zu drängen und prägt dort als fortlaufende Bewegung die plastische Form. Zufällige Improvisation und strenge Konzeption prägen gleichermaßen Aufbau und Wirkung der Skulpturen, sie folgen – wie Habisreutinger es nennt – „meinem Rhythmus, meiner Schwingung, meiner Resonanz“. Filigrane Durchdringungen, fragile Offenheiten und massive Verdichtungen, Leichtigkeit und Schwere, Dynamik und Statik bestimmen den facettenreichen Ausdruck der Werke.
Neben den raumgreifenden und primär installativ gedachten Skulpturen agiert Habisreutinger auch mit und aus der Fläche. In seiner Serie „Remix“ entwirft er aus zersägten und wieder zusammengefügten Sperrholzplatten expressiv zerklüftete Wandreliefs, die an geborstene Eisoberflächen oder schroffe Felsformationen erinnern. „Das Ausgangsmaterial sind Multiplex-Platten“, erläutert Habisreutinger seine Vorgehensweise. „Daraus erstelle ich zunächst rechteckige, weiß grundierte  
Bildträger, die ich mittels Säge- und Ritzwerkzeugen skizzenartig bearbeite. Verschiedenfarbige Schichten des Sperrholzes werden dabei freigelegt. In einem weiterführenden Prozess werden die so entstandenen Bilder zerstört, durch Zersägen entstehen puzzleartige Bildfragmente, die ich im Anschluss zu einer neuartigen dreidimensionalen Bildkomposition zusammenfüge.“ Das Ergebnis sind kühne, vielteilige Topographien, die dem Betrachter als splittrig-scharfkantige Gebilde wie ein atmender Organismus entgegendrängen, ja geradewegs aus der Wand in den Raum hinein zu explodieren scheinen. Zerstörung und Neuschöpfung zwischen spielerischer Spontaneität und exaktem Kalkül sprechen als Thema aus den fast graphisch anmutenden Remix-Reliefs.
Tatsächlich auf dem Gebiet der Graphik agiert Habisreutinger mit seinen Tuschezeichnungen und Radierungen. Winzige, zeichenhaft abstrahierte Formelemente breiten sich in all-over-Manier über die gesamte Bildfläche aus, scheinen über die Bildränder nach außen ins Unendliche zu fluten und entfalten die Vorstellung einer komplexen Musterstruktur, die beim Nähertreten bzw. Zurückweichen des Betrachters eine überraschende Eigendynamik gewinnt. Die Fläche beginnt zu pulsieren, zu vibrieren. Diese Arbeiten sind alles andere als klassische Bildhauerzeichnungen, sie nehmen keinen direkten Bezug auf die Skulpturen, sind keine Skizzen oder Vorstudien, sondern völlig eigenständige Bildlösungen.
Und doch kreist auch darin Habisreutingers Intention um das Ergründen von formalen Gesetzmäßigkeiten und strukturellen Wirkungsmöglichkeiten, die sich minimalistisch verdichten und zugleich maximal auflösen, die leicht, luftig und fragil erscheinen, wie auch wuchtig und monumental. Habisreutinger nennt seine Zeichnungen eine „écriture automatique“, die ihm hilft, sich „meditativ in den Prozess einzuschwingen“. Der französische Begriff entstammt der informellen Kunst, in der das Unbewusste, Spontane und Unmittelbare wesentliche Impulse für die Bildschöpfung lieferte. Auch betont Habisreutinger das „Fortlaufende“ und „Sich- Wiederholende“ als zentrale Momente seiner Zeichnungen und schafft damit wiederum Bezüge zu seinen sich gerne ins Endlose steigernden Holzskulpturen. Mit ihrer ebenso expressiven wie eleganten Ästhetik gewinnen die akkurat gearbeiteten Skulpturen eine starke, objekthafte Präsenz im Raum und entwickeln überdies eine poetische Aura des Rätselhaften und Unergründlichen.

Dr. Andreas Gabelmann

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